Heimatkunde

© Gunnar Kollin

GRUPPENAUSSTELLUNG

Heimatkunde

Ausstellung im Rahmen der Offenen Ateliers 7

vom 19.03. – 20.03.2005
Öffnungszeiten: Sa-So 14:00 – 19:00
Prenzlauer Allee 183, 10405 Berlin


Heimatkunde subsumiert die Sichten von Monika von Wegerer, Thilo Seibt und Gunnar Kollin auf ihre ganz persönliche Situation in, mit und gegen die Stadt Berlin. So unterschiedlich diese Situationen selbst sind, so unterscheiden sich auch die künstlerischen Reflexionen der Autoren. Während Monika von Wegerer mit ihrer Fotoserie “Nachts, wenn…” das nächtliche Hineinsehen thematisiert, dabei selbst mehr Beobachter als Gestalter, geht Thilo Seibt obwohl auch er in seinem Fototableau “Trolleybus” die Nacht als Begleiter hat, einen anderen Weg. Ausgehend von einem Text über einen Nachtbus folgt er in Langzeitbelichtungen eher einer Stimmung in einer nächtlichen Straßenbahn als dem fotografierten Gegenstand selbst. Noch subjektiver geht Gunnar Collin (der erst vor einem Jahr nach Berlin zog und so Berlin nicht sofort mit dem Heimatbegriff verbindet) auf Spurensuche. In Inszenierungen erfindet er Metapher, die die Zwischenwelt zwischen alter Nicht-Mehr-Heimat und neuer Noch-Nicht-Heimat reflektieren.


© Gunnar Kollin
© Gunnar Kollin

Die allerersten Arbeiten des Zyklus “Probleme, einen behaarten Fisch betreffend” begann noch vor der Übergangszeit und in einem ganz anderen Kontext. Dann aber kam der Umzug aus einer Kleinstadt im Havelländischen nach Berlin. Und dann begann auch die Übergangszeit. Zwischen Nicht-Mehr-Heimat und Noch-Nicht-Heimat leben. Auf einmal bekommt dieser Begriff Heimat Bedeutung. Am Anfang kann man sich noch wehren, kann noch vedrängen. Kann abschätzig: Heimatfilm sagen. Oder Heimatmuseum. Oder Heimkino. Das währt nicht. Dann irgendwann kommt der Blick aus dem studio in den Hinterhof, der souverän betoniert ist. Nur die verkommene Pflanzschale auf dem boden, mit einer traurigen Alibi-Pflanze. Darüber Wände und Fenster. Darüber etwas, von dem man meinen könnte, es sei ein Stück Himmel. Aber Himmel ist etwas anderes, erinnert sich mein träges Hirn. Himmel ist vielleicht Heimat? Während mein Kopf mir den Hals verdreht, um jenes Viereck oberhalb der Häuserwände zu betrachten, fliegt dort der behaarte fisch vorbei. Ich bin beruhigt, denn solange ich ihn sehe, kann ich hoffen. Nur er verewigt das Paradoxe. Dann kehre ich zurück zu meinen Bildern. Es werden Bilder über Heimat. Oder Nichtheimat. Über Himmel und Nichthimmel. Über Erinnerungen an Vergangenes und Sehnsüchte an Kommendes. Über Problem, einen behaarten Fisch betreffend…


© Thilo Seibt

Wenn nachts voll Verzweiflung ich irre umher
und find alle Türen verrammelt,
dann schwinge ich mich auf den Trolleybus der
die Bummler einsammelt.

Mein Trolleybus, hole, hol‘ ein deine Fracht,
all die mit der Welt zerstritten!
Bringe heim, aus dem Wirrsaal der Nacht,
die Schiffbruch erlitten.

Mein Trolleybus, bitte, öffne die Tür!
Es ist kalt! Lass hinein mich ins Warme!
Ich weiss: da ist kein Passagier
der sich nicht erbarme.

Wir trugen gemeinsam gar mancherlei Leid.
Ich brauchte euch nur zu berühren
um schon eure hilfreiche Gutherzigkeit
im Schweigen zu spüren.

Mein Trolleybus schwimmt durch den Nebel der Stadt
und tanzt wie auf schwankenden Wogen.
Der Schmerz, der im Schädel mir gehämmert hat
ist plötzlich verflogen.

Mitternachts-Trolleybus
-Bulat Okudschawa 1957-
übersetzt Martin Remané


© Monika von Wegerer

Nachts, wenn die Dunkelheit von den Dächern tropft und einen Mantel über die Alltäglichkeit wirft. Nachts, wenn die Mauern von den Schatten der Vorbeigehenden flüstern. Nachts, wenn Banales sich in leuchtende Farben hüllt. Nachts, wenn sich durch einen Blick in erleuchtete Fenster Geschichten offenbaren. Nachts, wenn die Welt im Schatten liegt und die Uhren langsamer ticken.

Dann gehe ich gerne durch die Strassen Berlins. Ich habe es nicht eilig, habe kein ziel, lass mich hierhin und dorthin treiben. Ich lasse mir zeit. Will nur wahrnehmen, nur beobachten. Dann liest sich die Strasse wie ein Buch und ich blättere in Schicksalen, wenn ich an Hauswänden entlang schaue, durch Hinterhöfe streife oder in Kneipenfenster blicke.

Ich habe ungefähr vor 1 1/2 Jahren begonnen, an diesem Projekt zu arbeiten. Ausgangspunkt war meine Liebe zu nächtlichen Streifzügen, denn in der Nacht sind Städte einfach viel geheimnisvoller. Diesem Geheimnisvollen und den Geschichten, die dann im Kopf entstehen, wollte ich durch die Fotografie Ausdruck geben. Anfänglich habe ich noch mit schwarz/weiss Filmen gearbeitet, merkte aber bald, dass das, was ich einfangen wollte und was mir begegnete, auch stark vom leuchten der Farben lebt, von dem wie sie sich aus den schatten heraus ins Licht drängen. Im Kontrast zwischen Schatten und Licht entsteht eine andere Welt, anders als die Welt des Tages. Bedeutungsloses wird der Hintergrund gedrängt und Wesentliches hervorgehoben.

Nachts hatte ich Ruhe zum Wahrnehmen, zum Beobachten und fühlte mich dabei selbst weniger wahrgenommen und beobachtet. Wenn die Hektik des Tages langsam von mir und meiner Umgebung abgefallen war konnte ich ungestört in die Dunkelheit eintauchen und fotografieren..