Fernbeziehung

© Ulrike Altekruse

GRUPPENAUSSTELLUNG

Fernbeziehung

Ausstellung im Neuköllner Leuchtturm (Berlin)

vom 29.09. – 21.10.2018
Öffnungszeiten: Do-Fr 16:00 – 19:00; Sa-So 14:00 – 18:00
Vernissage: Samstag, 29.09.2018 ab 19.00
Emser Straße 117, 12051 Berlin

Fotografische Positionen
Virtueller Rundgang
Katalog zur Ausstellung
Eindrücke von der Vernissage
Eimdrücke vom Aufbau


Fernbeziehungen prägen heute unsere Gesellschaft. Bis ins 20. Jahrhundert lebten Familien meist an einem Ort und es war eher selten, Kontakte über weite Entfernungen zu pflegen. Kommunikation fand überwiegend ohne technische Hilfsmittel statt. Heute ist Reisen zum Massenphänomen geworden. Millionen ziehen in andere Städte und Länder, weil sie sich bessere Chancen erhoffen oder vor Konflikten in ihrer Heimat fliehen. Durch moderne Medien ist es problemlos und schnell möglich, dennoch in Verbindung zu bleiben oder gar Menschen kennenzulernen, die weit entfernt sind. Scheinbar rückt durch diese Entwicklungen die Welt näher zusammen. Gleichzeitig wächst aber die physische Entfernung zwischen den Menschen.

In den Arbeiten der Ausstellung werden verschiedene Arten von Fernbeziehungen beleuchtet. Dabei wird deutlich, dass es Fernbeziehungen nicht nur zwischen Menschen geben kann, die weit auseinander leben, sondern auch in nächster Nähe.  Anlass für die Wahl des Themas war, dass auch die Mitglieder der Gruppe in verschiedenen Teilen von Deutschland leben und damit eine Fernbeziehung führen.


© Lena Kilkka

aus der Serie: The Beautiful

QUESTIONS FOR AMERICA: What is our common vocabulary? What can we agree on? What is the American Dream and what makes it unique among dreams? Is it possible to exist in a permanent dream state? Is it desirable? … Does art „matter“? Are we „preaching to the choir“? … Do you consider yourself free? Do you ‚feel‘ free? If not, is it because of hierarchical pressure from above or because of the panopticon view of your fellow citizens? What are the rights of citizenship? The responsibilities? Is your conscience a (social) construct? Do you think you are special and can beat the odds? Are freedom and responsibility inexorably linked? Is there a simple way out of this that I am just missing? Something I can‘t see? Is there an unseen world? Isn‘t the world, in fact, almost entirely unseen? Are you more afraid of being seen or not seen? Is this how it felt in (insert year) during (insert moment of upheaval, social turmoil, etc)? How to differentiate the pertinent from the convenient in the realm of analogy? Is there a line between accepting that there is no truth and accepting mistruth? Is your life situation tolerable? Is tolerable good enough? What is to be done?

-Al Burian, excerpt from „America“


© Iren Böhme

aus der Serie: Mietshaus

Meine Nachbarn gegenüber treffe ich selten, höre nur ihre Streits und das Türenschlagen. Unter mir die Wohnung ist untervermietet und die Mieter wechseln oft. Darunter wohnt eine ältere Frau, die ich nie sehe, nur einmal, vor circa einem Jahr klingelte sie bei mir, als sie ihren Schlüssel verloren hatte. Dann gibt es noch zwei nette Paare mit Kindern im Haus; mit einem ist über die Jahre etwas Kontakt entstanden. Sie gießen meine Blumen, wenn ich im Urlaub bin, und ich ihre. Aber ich treffe sie kaum, meine Einladungen zum Kaffee oder Essen lehnen sie dankend ab. Seit wir für den Notfall die Handy-Nummern getauscht haben, klingeln sie nicht mehr bei mir, wenn sie wegfahren, sondern schicken mir eine SMS um mich zu bitten, die Blumen zu gießen und die Post aus dem Kasten zu nehmen.


black light sunday (Gabriel Janach)

Die bestimmenden Elemente einer sogenannten Fernbeziehung stellen – für den aufmerksamen Analytiker offensichtlich – eine Form von Ferne und eine Form von Beziehung dar.

Alles andere ist dem Lauf der Dinge überlassen.

Im Rahmen meines Beitrags zur Gruppenausstellung sollen exemplarisch drei Formen dieses Verhältnisses berührt werden: die Beziehungslosigkeit in der Beziehung, die klassische Fernbeziehung und die Fernbeziehung zu sich selbst.

Diese können einander überschneiden, abwechseln und gegenseitig beeinflussen.


© Tassilo Ott

Die Fernbeziehung

Jede Zeit hat ihren eigenen Ausdruck dafür. Waren es zur Zeit Goethes die unerwiderten Briefe Werthers an Lotte oder bei Kafka die erwiderten an Milena, die die Fernbeziehung dem Zeitgeist nach prägten, so gibt es heute kein Pendant mehr dazu. Niemand schreibt mehr Briefe, kaum jemand nimmt sich überhaupt noch die Zeit für eine ausgefeilte Email.  Generell wird wenig und kurz geschrieben und der geschriebene Ausdruck ist banal geworden. Die Worte handeln bloß von Alltäglichem, was morgen schon – zu Recht – vergessen sein wird. Aber gleichzeitig hat das Bildhafte – konkret das Handyfoto im Chat – rein quantitativ enorm an Bedeutung gewonnen. Überall und pausenlos werden Fotos geknipst.

Die über den Chat ausgetauschten Bilder haben die Stelle der Texte eingenommen. Ein Experiment. Entledigt man sich in einem 2-Personen-Chat der Worte und reiht die übriggebliebenen Bilder in korrekter Sequenz aneinander, so ergibt sich ein Duktus, ein Gedankenfluss, in dem so viel Ungeahntes zum Vorschein kommt. Davon handelt dieses Fotoprojekt.

Ich habe meine Freundin, Manuela Rüegg, auf einer Islandreise kennengelernt. Vom September 2013 bis zum selben Monat des Folgejahres hatten wir auf die Distanz Zürich/Berlin eine Fernbeziehung. Wir haben uns täglich über WhatsApp ausgetauscht. Vieles ist in diesem einen Jahr passiert. Die Serie endet konsequenterweise mit dem Bild eines SIXT-Umzugswagens.


© Stefan Postius

aus der Serie: Verblassende Beziehungen und der Nutzen des Vergessens

Gleich was wir auf Friedhöfen zur Pflege der Erinnerung benötigen und verwenden – Beziehungen werden doch zu Fernbeziehungen. Selbst Stein ist kein Garant für das Überdauern von Erinnerungen. Erinnerungshilfen werden nach Ablauf der Geschäftsmodelle abgehängt oder entfernt. So wird Platz geschaffen für neue Lebenserinnerungen und deren wiederholtes Vergehen und Verblassen.


© Karl Förster

aus der Serie: Nahbeziehung – Fernbeziehung

Die Beziehung Mensch – Huhn findet ihren Ausdruck in zahlreichen Vergleichen und Redensarten. Da ist die Rede vom „verrückten Huhn“, das „Federn lassen muss“, vom „Hahn im Korb“ oder vom „eingebildeten Gockel“. „Man hat mit jemandem ein Hühnchen zu rupfen“, ist der Meinung, „dass auch ein blindes Huhn ein Korn findet“ und möchte nicht „das Huhn schlachten, das goldene Eier legt“. Nach belanglosen Dingen „kräht kein Hahn“ oder „ein guter Hahn, der wird nicht fett“. Und manchmal ist es besser, den Schnabel zu halten. In diesem Sinne: „kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich die Beziehung oder sie bleibt, wie sie ist“.


© Thilo Seibt

aus der Serie: 700 km oder Das Pferd frisst keinen Gurkensalat

Entfernungen verlieren in der modernen Welt an Bedeutung. Durch die Erfindung des Telefons können Gespräche seit über 150 Jahre in andere Räume, Gebäude, Städte und Kontinente geführt werden. Wurde zu Beginn mittels Sprache kommuniziert, kamen nach und nach Texte, Fotografien und Filme hinzu. Die Faszination der kommunikativen Nähe lässt die reale Entfernung vergessen. Diese ist in der Kommunikation nur in den Kabeln zu finden, die die Orte verbinden. Hier legen die elektrischen Signale in Lichtgeschwindigkeit die Strecke zurück, die vergessen ist. Zu Beginn des Kommunikationszeitalters waren die Drähte und Kabel noch an Wegen, Straßen, Eisenbahnstrecken zu sehen. In der heutigen Zeit sind die Kabel tief eingegraben, in genormten Schächten verlegt oder durch Funkwellen ersetzt. Die Entfernung zwischen Konstanz und Berlin beträgt 700km. Durch das symbolische Ziehen eines Seiles sollen diese beiden Orte verbunden werden. Das Seil mit seinen einzelnen Fasern ermöglicht eine Vielzahl von Nutzungsmöglichkeiten. Das Seil als das 3500 Jahre alte Hilfsmittel der Menschheit wird mit verschieden Hilfsmitteln in der Landschaft, in den Dörfern und in den Städten verlegt. In Einblendungen sind verschiedene Situationen einer Kommunikation dargestellt. Diese Szenen reichen von Abwehr über Missverständnisse bis zur Zuneigung.


© Peter Krabbe

aus der Serie: Meine Mutter im Himmel

Schon lange ist sie von dieser Erde fort.  Ich muss suchen nach Bildern, wenige Erlebnisse sind haften geblieben. Ich war damals gerade gegangen, ausgezogen, die Welt zu erobern, als sie sich verabschiedet hat. Ihre Krankheit habe ich nur am Rande zugelassen. Es war wenig Schmerz, wenig Trauer damals, das Leben war wichtiger, aufregender.  Aber die Erinnerungen blieben. Sie hat mich immer begleitet von weit weg. Früher habe ich mit ihr gestritten, von ihr auch kochen gelernt, mit ihr Karten gespielt. Sie gab mir ein Gefühl der Sicherheit, auch für die jetzige Welt.  Dort hinter den Wolken wird sie schon sein und in meinem Herzen.

Agnes Krabbe gestorben 19.5.1973


© Ulrike Altekruse

aus der Serie: So nah – so fern

Die Eisenbahnbrücke in Dömitz/Elbe. Der Fluss: Trennlinie, Lebensader, Handelsweg. 1873 Eisenbahnbrückenbau. Dömitz blüht auf, wird Verkehrs-, Handelsknotenpunkt. 1936 Autobrücke. 20.4.1945 beide Brücken werden bombardiert, zerstört. Der Fluss wird, hinter blickdichten Zäunen, wieder Trennlinie. Diesmal zwischen zwei deutschen Staaten. 1989 Wiedervereinigung. Die Bahnstrecke wird stillgelegt, die Eisenbahnbrücke Industriedenkmal, Mahnmal. Auch wenn die neue Autobrücke ab 1992 verbindet, hallt in den Köpfen die Trennlinie nach. Das gegenüberliegende Elbufer erscheint- je nach Standort und Wasserstand, zum Greifen nah oder unendlich fern.


Berlin-Stuttgart. 17.30 Uhr, Regensburg-Berlin. 21.00 Uhr

Wie viele Familien in der mobilen Gesellschaft der Gegenwart leben meine Mutter, meine Schwester und ich in verschiedenen Städten, die mehrere hundert Kilometer auseinander liegen. Dennoch haben wir engen Kontakt, wir telefonieren, schreiben uns E-Mails und Kurznachrichten. Mehrmals im Jahr gibt es treffen und Besuche an Wochenenden oder über Feiertage. Was aber fehlt sind die spontanen Begegnungen, die Möglichkeit eine Tasse Tee oder ein Glas Wein ohne große Terminabsprachen zusammen zu trinken.


© Rolf Krane

Tinnunculus

ist die latainische Bezeichnung für Turmfalke und zugleich der Name der Falknerei am Königstuhl in Heidelberg, am Fuße des abgelichteten Fernsehturmes. Eine Fernbeziehung macht es nötig, genauer hinzusehen.